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Rubiners Tod

In der Nacht vom 26. zum 27. Februar 1920 stirbt Rubiner infolge einer sechswöchigen Lungenkrankheit in einer Berliner Privatklinik in der Augsburgerstraße, einige Tage nachdem die Gesellschaft Das junge Deutschland ihm einen Ehrentitel als Würdigung seiner literarischen Tätigkeit verleiht. Am 3. März wird er in Berlin-Weißensee begraben. Die Grabreden werden von Franz Pfemfert und Felix Holländer gehalten. (Vgl. Klaus Petersen, Ludwig Rubiner. Eine Einführung mit Textauswahl und Bibliographie, Bouvier Verlag, Bonn, 1980, S.57 und Wolfgang Haug: Ludwig Rubiner, Künstler bauen Barrikaden. Texte und Manifeste 1908-1919, Luchterhand Literaturverlag, Darmstadt, 1988, S.20).

La morte

Nella notte tra il 26 e il 27 febbraio 1920, dopo una malattia polmonare durata sei settimane, Rubiner muore in una clinica privata di Berlino nella Augsburgerstraße, alcuni giorni dopo che la società Das junge Deutschland gli aveva conferito in riconoscimento della sua attività letteraria un titolo onorifico. Il 3 marzo viene sepolto a Berlin-Weißensee. Le orazioni funebri furono pronunciate da Franz Pfemfert e Felix Holländer. (Cfr. Klaus Petersen: Ludwig Rubiner. Eine Einführung mit Textauswahl und Bibliographie, Bouvier Verlag, Bonn, 1980, pag.57 e Wolfgang Haug: Ludwig Rubiner, Künstler bauen Barrikaden. Texte und Manifeste 1908-1919, Luchterhand Literaturverlag, Darmstadt, 1988, pag.20).

Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung Abend-Ausgabe vom 27. Februar 1920. S.2

LUDWIG RUBINER TOT von Kurt Hiller

Am 27. Februar 1920, noch nicht neununddreißig Jahre alt, an Feuer und Reinheit neunzehn Jahre alt, starb Ludwig Rubiner. Als ich, fern unsrer Heimat Berlin, von diesem Tode unvorbereitet erfuhr, dachte ich, ein Fetzen Ich würde mir aus dem Brustkorb gerissen. (Dabei hatten wir uns oft gehaßt.) Seit 1911 waren wir Freunde. Sehr unprivate Freunde, jeder vom persönlich-äußern Sein des andern wenig wissend, auch wenig willens zu wissen; dafür im Sachlichen um so leidenschaftlichere Freunde. Unsere Gespräche, oft viele Stunden während, jede Minute dichtest angefüllt, in Stuben, Cafés, Straßen, .. Gespräche, immer in gerader Richtung aud das Wesentliche, zeitlich sich abwandelnd-Zeitlose los, nie litteraturhechelnd (wohl lächelnd bisweilen eine litteratürliche Parenthese): diese Gespräche gehören - hören Sie's, toter Freund - zu den wichtigsten, bestimmendsten Geschehnissen meines Lebens. Und einige hundert Briefe haben wir ausgetauscht ..... Ja, ich wäre gewiß auch ohne Ludwig Rubiner jemand geworden; aber ich wäre nicht der, der ich bin, ohne Ludwig Rubiner. Als ich vernahm: er ist tot, klaffte etwas in mir.

Viele nahe, ungefähr gleichaltrige Menschen wurden einem seit 1914 unwiederbringlich entrückt; mit Ernst Wilhelm Lotz (klingende Schwinge! beschwingte Klinge!) begann es. Gewöhnte man sich schließlich an diese Beraubungen? Stach der Schmerz nicht mehr so? Stumpfte man ab? Ich weiß nur, daß ich nie Das wiederholt habe, was ich - ohne Wahn; im vollen Wissen, daß Gott ein Nonliquet ist - beim ersten tat: heftig, heftig vor dem Einschlafen zu beten, der Freund möge zurückkehren, und sei es als Traumbild oder Spuk. Ich hätte Gott damals ein paar Finger meiner Hand überlassen (die mir nicht gleichgültig sind), wenn er sich zu solchem Pakt verstanden und den Getöteten heraufgerufen hätte; ich war gegenüber dem Dunklen ernst entschlossen dazu. Das wiederholte sich nicht ... Aber selbst in jenem Rausch der Trauer (eines überwältigten, im dumpfstes Kindtum zurückgestoßenen Ratiowesens) fehlte das Gefühl: Riß, fehlte die Empfindung, um ein Stück eigener Substanz verarmt zu sein - dies Vacuum, das in mir fror, als ich wußte: Rubiner unabänderlich fort.

Man streiche aus dem Menschenleben die Sinnenliebe -: eine Köstlichkeit fiele weg, es lohnte sich immer noch. Man streiche aus ihm die Geistaktion -: eine Fadheit bleibt. Man streiche die Freundschaft -: dann auf der Kruste dieses Weltkörpers lieber als Tier traben! Freundschaft nun erst um der Geistaktion willen muß also wohl keine Nebensache unter den Lebenssachen sein. Ludwig Rubiner zu verlieren ist keine Nebensache.

Es ist keine Nebensache, sich selber zu einem Teil zu verlieren. Furchtbarer Gedanke: gewisse Selbstgespräche, unumgängliche, nicht mehr führen zu können. Was wird aus ihnen? Eine innere Sekretion wird gehindert; muß nicht krankes Blut die Folge sein oder irgendwo innen ein Faulnisherd entstehen, eine böse Geschwulst, ein Krebsfraß? - Solche Verluste sind die unerträglichen. (Solange die Physis der Seele keinen heilenden Gegensaft erfindet und aussendet.)

Ach, Rubiner, wenn Sie das lesen könnten! Wie würde ich mich freuen .. und doch auch schämen. Schämen nicht wegen Bloßlegens von Innendingen (das war zwischen uns guter Brauch und selbstverständlich, daher nicht mal betont), sondern schämen ganz einfach, weil es so unvollkommen gesagt ist. Weil eine Kugel von Empfindungen nur an ein paar Punkten gepackt .., weil sie nicht gepackt, sondern bloß betippt ist. Weil lauter Abstracta klappern, wo bei Ihnen Gewittermusik dröhnt. Ich bin schließlich ein nüchterner Staatsrechtler, um Menschenerleben darzutun, gerad' auch das eigene, muß man Dichter sein. Aus Ihnen lohte das himmlische Licht. Ich habe es Ihnen so oft gestanden: Sie Waren mir formulatim über. (Formulatim - was bei Veröffentlichern unsres Schlages, die sich nicht besser noch klüger dünken, als halbwegs gute und kluge Nichtöffentliche es sind, vielmehr vor ihnen nur die Formel vorauszuhaben meinen, alles bedeutet).

Sie waren mir formulatim über. Ich dachte wohl mathematikhafter, Sie inbrünstiger; ich schrieb wohl den exakteren, kontrollierteren, Sie schrieben den phantastisch-grandioseren Stil; ich pflegte mich an der Leine meinert Logik zu halten, wenn Ihr jauchzender Arm ins offene Meer der Intuitionen stieß. Zwar wünschte ich Ihnen zuweilen einen Schuß Mathematizität, eine gewisse Simmelsche (wir waren materiell gegen Simmel einig) Präzisionsmechanik des Denkens, etwas von Spinoza's, von Leonard Nelson's Tektonik oder Systemkühle - aber viel stärker noch: mir (gar den Lehrstuhlmeistern) Ihre Fülligkeit, Ihren Feueratem. Ich fand es wertvoller, hinreissend, berauschend, aufwühlend, durchglutend zu schreiben, als: scharfsinnig, dialektisch-genau und "richtig"; ich Deduktiver zog der deduktiven Methode die suggestive vor .. voll stillen Traums von der Synthese.

Übrigens machte es mich immer sehr froh, Sie als den Überlegnen zu wissen und verehren zu können; man hat dies Erlebnis so selten. gehabt hab' ich es bei Kerr, dem Essayisten Heinrich Mann, bei Karl Kraus, bei Landauer; unter Generationskameraden: bei Max Stirner, dann bei Ihnen, zuletzt jetzt bei zweien, die es wissen, ... nur bei zweien. Der Rest, ich schäme mich nicht, das zu sagen, schreibt schlechter .. oder Schlechteres - in welchem Falle sich gleich bleibt, wer den Kiel eleganter führt.

Doch um des heiligen Geistes willen: Rubiner und die gute Prosa! Fast beleidige ich ja den Toten. Es kam ihm nicht auf Prosa, es kam ihm auf Änderung der Welt an; der räumlichen; auf reale Änderung - so wie es, aktuellst und unvergänglich 1915 von ihm formuliert, auf den Seiten 99 bis 120 des ersten Bandes "Ziel" steht. Am Ende seines Lebens kam es ihm sogar auf Weltänderung in einem streng begrenzten Sinne an: auf die soziale Revolution, im Schema des Denkens von Marx bis Lenin. Schließlich bleibt große Prosa aber ein Inzitament zur Revolution, bleibt das stärkste Mittel der Änderung (man denke an die Reden der Religionsstifter); vielmehr: nur falls Prosa Das ist, ist sie groß.

Man würde gegen Rubiner nicht geltend machen dürfen, daß zwischen dem Pathos seiner Sprache und ihrer Wirkung auf die Wirklichkeit eine Kluft klaffe. Man brachte dies besser gegen die Wirklichkeit vor als gegen ihn. (Beispiel: Sein herrliches Hauptwerk "Der Mensch in der Mitte" mußte 1917 in einem Außenseiterverlag erscheinen und daher fast unbeachtet bleiben* - *Die zweite Auflage ist unlängst erfreulicheren Orts erschienen: bei Gustav Kiepenheuer, Potsdam, dessen Institut Rubiner in den Monaten vor seiner Erkrankung leiten half), weil .. selbst ein so unspießiger, so unabhängig und frisch urteilender Verleger wie Kurt Wolff das Manuskript achtungsvoll abgelehnt hatte.) Vor allem: Was wißt ihr von Rubiner's Wirkung, wenn er gelebt hätte und Jahrzehnte noch hätte wirken können! Der Urfaust würde vielleicht kurze Zeit ein Ragout für Feinschmecker gewesen und heute vermutlich vergessen sein, wenn sein Autor bald nach der Niederschrift von der Erde getreten wäre. Nicht ganz unschuldig an der Wirkungsstärke manches "Ganzgroßen" war seine Achtzigjährigkeit: also kein Verdienst, sondern ein Glück. Kein Verdienst, nein - auch wenn man Degeneration für eine Schuld hält. Denn früher Tod rafft nicht immer den Entarteten, Verfallenen hin. Gerade das Schicksal Rubiner's beweist es.

Grippe, Lungenpest. Einen starken, hohen, nie kranken Menschen traf sie, einen baumhaften blonden Juden. Wo steckt da das physische Gesetz?

Aber ein metaphysisches vielleicht; ein "Sinn"? Zum Beispiel der: daß geistig in eine Sackgasse Geratene garnicht bessere erlösbar sind als dadurch, daß der Dunkle sie von ihrem Körper erlöst? Ich war zuletzt politisch Rubiner's .. sagen wir: Halbgegner - und hätte es leicht, zu dozieren "Sackgasse". Ich lehne das ab, und zwar erregt. Ich weiß, daß, wenn ich morgen sterbe, übermorgen sogenannte Feunde, die mir manches zu verdanken haben und zu beschränkt, unklar, denkunbegabt sind, um einzusehen, daß in den Streitfragen zwischen uns ich recht habe, nicht sie; um einzusehen, daß sie verschwommene Schwimmer mit dem Strom (wenn auch dem "revolutionären") sind, - ich weiß, daß diese Jünglinge wohlwollende Metaphysiken der beschriebnen Art hinlegen, auf deutsch: mein totes Gehirn bepissen werden. Unfähig dann, mich im Grabe umzudrehn, zeige ich ihnen lieber heute die Zähne.

Die Pest traf einen baumstarken Menschen, in seinem vierten Jahrzehnt. Metaphysischer Sinn? Irrsinniger Zufall? Wer wagt eine Antwort. Man fragt seit Äonen vergebens, nicht in Äonen wird man begreifen. Auch das Geborenwerden und Leidensvoll-tunsvoll-auf-diesem-Wandelstern-wandeln nicht; nicht Leben, nicht Tod, nicht Sterne. Alles Seienden Sinn wird in Ewigkeit hinter dem Schleier bleiben; aber klar, klar in die Ewigkeit strahlt der sittliche Wille: die Qualen, die wir selbst, Menschen, einander bereiten, auszurotten durch das Feuer der heiligen Vernunft; durch die Kraft der Verbundenen.

In einer intellektualistischen, nihilistischen, kompliziert-leeren, einer ästhetischen, kritischen, deskriptiven, psychologisierenden Zeit diesen Willen, diesen Glauben, diese schlichte Aufgabe, dies Ethische, Thetische, Normative, Politische .. als Prinzip heftig erlebt zu haben (und zugleich den heftigen Zwang, es heftig auszusprechen) - das war es, was uns beide verband. Heftig verband, .. "heftig" in jedem Betracht. Diese Freundschaft war sturmvoll, zerwühlt, eine Kette von Krisen. Gegen die Gegnerschar draußen himmlischer Kampf Hand in Hand - und zwischendurch immer wieder zermürbendes, entnervendes Ringen miteinander: um den wahren Gott (meist um den Gott des wahren Wegs, den Methodengott) .. Ringen bis zum Zorn, bis zum Haß. Der pflegte eine Weile zu rauchen, dann erkannte man sich von neuem: Katastrophe und Fest, Explosion und mystische Union wechseln in heftigem Rhythmus ab. Die Doppelkurve dieser Freundschaft zerbäumte sich regelmäßig, um regelmäßig wieder zusammenzurasen (- die Monate, in die der Tod fiel, waren Monate der Konvergenz; wie hold für das Gedenken!)

All dies sage ich .. eigentlich nicht irgendwem; es geht niemandem an; sondern ich sprech es aus, um ein Starkes festzuhalten, das war; ein Stärkstes, Edelstes in meinem Leben. Auch indem ich dies schreibe, habe ich wieder das Gefühl: ein Stück von mir ist fort mit Rubiner, nicht draußen in der Welt nur starrt eine Lücke.

Hier stehe denn noch, was zuletzt das Trennende zwischen uns war. Versucht sei, es (in zwei Worten) unrechthaberisch, es wie vom Sirius aus darzutun. Er dachte: Soziale Revolution, klassenlose Gesellschaft, das große Ziel, der gewaltige Geschichte-Prozeß, Geschichte-Exzeß, DAS Ziel, jedes Mittel ist recht. Ich dachte (und denke): Nicht jedes; Tötung eines Menschen, der leben will, nicht; denn Mord ist noch gräßlicher als Ausbeutung - selbst falls er geschieht, damit endgültig Ausbeutung aufhöre, damit endgültig Mird aufhöre. Rubiner nannte meine Haltung konterrevolutionär.

Zweitens. Er dachte: Revolutionär ist die Klasse, die proletarische Masse; in diesen Ozean untertauchen müssen wir kleinen Einzelnen, Geistmänner, Entklaßten. Ich dachte (und denke): Nicht eine Klasse ist revolutionär, sondern ein Typus; der herrsche! Daß dieser Typus im Proletariat besonders häufig, in der Bourgeoisie besonders selten vorkommt, darf (dachte ich; denke ich) nicht zu der revolutionär falschen Verfassungstheorie führen, das Gesetztgebungsmonopol liege, auch für außerwitschaftliche Materien, bei der Klasse - statt beim Typus. Rubiner bestritt, daß wir das Recht hätten, unter der Klasse der (bewußt oder unbewußt) Ausbeutenden sympathische Typen zu entdecken.* (* Im Briefe vom 7. XII. 1919 schrieb er mir das; ich hatte die Absicht, ein größeres Bruchstück dieses Briefs - und ein andres aus einem zweiten - im "Ziel" zu veröffentlichen. Das Urheberrecht ist bei der Witwe des Verstorbnen, der Physikerin Dr. Frida Rubiner, geb. Ichak. Sie hatte mir die Druckerlaubnis in Aussicht gestellt, falls sich bei der Einsichtnahme in die Texte nicht Bedenken politischer Art für sie ergeben sollten; sie könne nicht dulden, daß Äußerungen des Toten veröffentlicht würden, die etwa im Widerspruch zur Politik der Kommunistischen Partei stünden. Die Äußerungen, die ich habe plubizieren wollen, werben für die Politik dieser Partei. (Übrigens auch nach links hin: sie sind antisyndikalistisch. Rubiner war zum Beispiel für Beteiligung der Kommunisten an der Reichstagswahl 1920.) Aus diesem Grunde gab ich, für die Umschlagseite (sie wurde vor den Bogen gedruckt), im besten Glauben an, daß unter den Beiträgen des Bandes auch ein Beitrag von Ludwig Rubiner sei. Die Witwe las die Brieftexte und fand, wie erwartet, politisch nichts daran auszusetzen, knüpfte aber in letzter Minute die Druckerlaubnis unerwarteterweise an, eine tolle Bedingung. Sie schrieb mir am 27. Mai 20, sie könne ihre Einwilligung zu der Veröffentlichung nicht geben, bevor sie nicht die anderen an mich gerichteten Briefe ihres Mannes zu publizieren imstande sei. Hierzu muß man wissen, daß ich von Anfang an bereit war und mich bereit erklärt hatte, der Dame die gesamte Korrespondenz Rubiner's, soweit sie in meinen Händen ist, zur Veröffentlichung zu überlassen, freilich mit der Klausel, daß ich bei der Auswahl und der Redigierung der Stücke ein Wort mitzureden hätte. Es verstand sich nicht nur von selbst, daß ich das Recht haben mußte, Fortlassung gewisser sehr persönlicher und intimer Briefstellen (über mich und Dritte) zu bewirken; sondern ich hatte auch ein eminentes sachlich-geistiges Interesse daran, daß Stellen, die vom beschränkten Standpunkt einer Parteidoktrin aus anstößig oder, noch schlimmer, unwichtig erscheinen konnten, aber philosophisch oder litterarisch oder menschlich von größtem Belang waren, nicht fortfielen. Dies drohte. Aus Unterredungen mußte ich den Eindruck gewinnen, als sollte Ludwig Rubiner nicht in seiner Universalität, in der Vielgestalt und Fülle, in der Echtheit seines geistigen Wesens gezeigt, sondern als sollte sein Bild zu dem eines engen Agitators versimpelt werden, der nie gegen den Bolsche-Stachel lökt. Ich hatte, soweit die an mich gerichteten Briefe in Frage kamen, nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, solches zu verhindern. Daß Rubiner zuletzt Partei-Enge postuliert hat, für andere und sich, berechtigt die Überlebenden keineswegs, der Nachwelt zu verschweigen, daß dies Postulat aus der Weite eines Geistes geflossen, daß es lediglich Bestandteil der Gesamtmentalität eines Toten, jedenfalls bloß Phase ihrer Entwicklung (zufällig die letzte) gewesen ist, und berechtigt sie noch viel weniger, statt der Weite die Enge, statt des Geistmanns den Parteimann, statt des Gesamtbestandes den Teil vorzuführen. Zumindest werde ich zur Unterstützung solcher Blaustrumpfbanauserei meine Hand nicht bieten. - Da Frau Dr. Frida Rubiner uneingeschränkte Verfügung über die Texte der an mich gerichteten Briefe ihres Mannes gefordert, da sie es abgelehnt hatte, mir das Recht der Einrede gegen Veröffentlichung und Auslassung gewisser Stellen zu gewähren, so blieb mir nur übrig, ihr die Texte vorzuenthalten. Von deren Auslieferung (Original oder Kopie) wurde nun plötzlich die Erlaubnis, zwei für Aktivisten wichtige Briefbruchstücke im "Ziel" zu drucken, abhängig gemacht. Dieser Pression durfte ich nicht weichen. - Der Leser, der um eine ihm angekündigte, sehr aufschlußreiche Lektüre gekommen ist, möge sich bei einer Dame beschweren, die sich benimmt, wie die Hinterbliebene eines bedeutenden Mannes sich nach ehernem Naturgesetz scheint benehmen zu müssen, - und bei einer Rechtsordnung, die in Urheberhinsichten genau so philistrig und philisterfreundlich ist wie in andren.)

Reiner Proletokratismus stand einem Logokratismus gegenüber, für den das Prinzip kommunistischer Wirtschaft zum Logos gehörte, aber eben nur gehörte. Meine Auffassung war (und bleibt): Die gegenwärtige Revolution ist im Recht gegenüber ihrem Widersacher, und man muß auf ihre Seite treten; aber sie ist eine beschränkte, enge, schiefe, schlechte Revolution, eine letzlich doch wieder philistrophile (egalitäre, "demokratische"); der Geistige beginne schon heute die gute Revolution der Zukunft vorzubereiten, deren Feldgeschrei nicht lauten wird "Alle Macht den Arbeiterräten", sondern "Alle Macht dem geistigen Typus" (was Arbeiterräte nicht ausschließt) - eine Revolution, die wohl freilich historisch nur auf dem Boden der klassenlosen Gesellschaft gedeihen kann, so daß ihr die gegenwärtige, wird vorangehn müssen. - Rubiner dachte: Jede Energie jenseits der proletarischen Weltrevolution ist heute vertan .. oder ist Energie gegen diese Revolution; jede Aktivität außerhalb der Dritten Internationale: Donquichoterie oder Verbrechen.

Dies das Trennende der letzten Zeit; in der allerletzten erfüllte uns beide starker Wunsch nach Trotzalledem-Verständigung übere jene Dinge. Wäre sie geglückt? Sie war schon im Glücken; da befiel seinen Leib der Dämon.

- Eine Freundschaft, tief und disharmonisch; sehr unverwandt platt-harmonischem Gesinnungsgenossentum, das durch kühle Verstandesentschlüsse hergestellt wird und selbst dann von Geschäftsfreundschaft nichr erheblich verschieden ist, wenn der edlere Partner ein völlig ungeschäftlicher, ein kindlicher und glühender Mensch ist: wie Ludwig Rubiner es war. Subalterne Publizisten (subalterne, darum nicht notwendig unverdienstliche), deren ostentative Gesinnungsgenossenschaft Rubiner aus Gründen einer politischen Konstellation zuletzt gerne geduldet hat, zeigen einen - zwar nicht verwunderlichen, doch verletzenden - Mangel an Abstandsgefühl und Anstandsgefühl, wenn sie diesen Toten, zu dem sie in allerhand freundlichen Beziehungen, aber in keiner innerlichen und tragischen je standen, .. diesen Toten, der sich nicht wehren kann, in gedruckten Nachrufen ihren "Freund" heißen. Was zwischen ihnen und ihm vorlag, war von Freundschaft so verschieden, wie Wasser von Blut, Verstand von Inbrust, Meinung von Glauben, Zweck von Gemeinschaft, Geistindustrie vom Geiste, intelligente Forumsrhetorik vom menschlichen Schrei verschieden ist.

Diesen Unterschied erfaßt nicht der Mensch ohne Blut, Inbrust, Glauben, Gemeinschaft, Geist, Schrei - der unjunge Mensch, der kalte. Er vermutet womöglich, hier werde für Gefühlsdunst plädiert, gegen die Helle der Ratio. Ach, das Helle braucht nicht seicht zu sein .. und das Tiefe nicht dunkel. So wenig es dem Intellektualismus gelingen kann, diesen Toten zu sich herabzuziehen, so wenig darf der Irrationalismus ihn für sich in Anspruch nehmen. Denn war kein Hirn je herzlicher, so war auch kein Herz je hirnlicher als Ludwig Rubiner's.

DEM TOTEN KAMERADEN LUDWIG RUBINER (geboren 12. Juni 1881 - gestorben 27. Februar 1920) von Wilhelm Herzog

I.

Ein wahnwitziges Schicksal fällt die Besten. Nach Karl Liebknecht, Rosa Luxenburg, Leo Jogiches, Kurt Eisner, Gustav Landauer, Eugen Leviné auch ihn. Auch er geht von uns, ohne sein Letztes gegeben zu haben, soviel er uns schon gab. Er gehört zu dem Geschlecht jener großen Pioniere der Revolution, er, den die großen Massen kaum kannten und deren Prophet er dennoch war.

Innerhalb des Massenmordens schickte er seinen Ruf in die Welt: "Der Mensch in der Mitte". Er stellte diesen Proklamationen eines freien und unbedingten Geistes die Worte Herodots als Motto voran: "Laßt nichts unversucht, denn es geschieht nichts von selbst, sondern der Mensch erlangt alles erst durch seine Unternehmungen".

Was will der Mensch in der Mitte? - Die Herrschaft des Geistes aufrichten. Deshalb: Stören, zerstören, niederlegen das Alte: Hindernisse sprengen, aufräumen, den Wust abtragen, restlos; alle Krankheitskeime der bürgerlichen Gesellschaft beseitigen, um endlich aufbauen, schaffen, neu leben zu können. Denn: wir hielten es nicht mehr aus. Krampf war in unseren Gliedern. Endlich, endlich mußten wir uns lösen, mußte die Befreiung kommen.

Jahrhunderte, Jahrtausende hatten Dichter, Gelehrte, Künstler, Forscher gedichtet, gelehrt, gekünstelt, geforscht. Ihr Geist bleib Ornament, Schmuckstück, Fibelabschnitt. Geist wurde nicht Tat.

II.

Wonach wir uns sehnten, als wir Studenten waren, das war: die Verwandlung unserer Ideen in die Wirklichkeit. Wir wollten erzwingen, daß die selbstverständlichsten menschlichen Forderungen endlich erfüllt würden: auf sozialem, wirtschaftlichem, politischem, kulturellem Gebiet. Und da wir am Anfang junge Literaten waren, so wollten wir, daß die schöpferischen Menschen, die vom Bürger verlacht, verhöhnt, veleumdet, besudelt wurden, also alle Kämpfer, Neuerer, Aufrührer unter den Dichtern gerechtere Anerekennung erführen. Auf daß sie sich durchsetzten. Wi wollten, daß gegenüber den Suder- und Hauptmännern die vorgeschrittensten und menschlichsten Geister der modernen Literatur gehört wurden. Und deshalb priesen und feierten wir Frank Wedekind und Heinrich Mann als unsere Führer.

Das war vor 10 bis 15 Jahren. Noch nicht länger. Wie wurden diese beiden nach jahrzehntelanger Nichtachtung und Verkennung geschmäht und verdächtigt! Bis sie endlich von derselben bürgerlichen Gesellschaft, wie sie heute scheinheilig behauptet zu ihren Lieblingsautoren avancierten. Mit bewußter Einseitigkeit arbeitetn wir an dem Sieg, an dem Durchbruch dieser Geister, weil sie uns, unseren Ideen verwandt waren. Sie waren in dieser Zeit unsere Sprecher, die Künder und Künstler unserer Leiden, unserer Kritik, unserer Forderungen, unserer Leidenschaften, unseres Willens zu radikaler Umgestaltung dieser Gesellschaft. Aber wir alle waren in jenem vorkriegerischen Jahrzehnt trotz revolutionärer Gesinnung noch in bürgerlichen Ideologien befangen. Auch - und in erhöhtem Maße - die Führer Wedekind und Heinrich Mann.

Wir aber vertrauten ihnen und wir liebten sie. Nicht wegen ihrer Kraft als Dichter allein, sondern weil sie sich nicht begnügten, Romane, Dramen, Novellen alljährlich zu verfassen, sondern weil es aus ihnen sprühte, weil sie Willensmenschen waren, Fanatiker der Moral und des Ausdrucks, weil sie diese Welt nicht nahmen, wie sie ist, als etwas Gottgegebenes, Endgültiges, zu Besingendes; sondern weil sie die Welt ändern wollten, weil sie Umstürzler waren, geistig Radikale. Aufwühlende Revolutionäre. Trotz ihrer antibürgerlichen und ätzenden Kritik jedoch bleiben sie selbst weit vorgeschrittene, aufgeklärte Bürger, Republikaner des wilhelminischen Zeitalters. Wäre dieser Typus des demokratischen Bürgers in Deutschland herrschend geworden, so hätten wir immerhin eine geistig weit besser vorbereitete Revolution erlebt.

Aber die "Demokratie" war in Deutschland schon zu korrupt - noch bevor sie sich entwickeln konnte - das "demokratische" Bürgertum ohne eigene Kraft, zu geistfeindlich, mammonistisch, schieberisch und unschöpferisch, als daß es - wie etwa in der tschechoslovakischen Republik durch Massaryk, den Republikaner und Demokraten, - die Revolution hätte herbeiführen können.

Deshalb wurden wir, die wir dieser Welt entwachsen waren, gezwungen, uns zu entscheiden. Für die Entschlossensten und Aktivsten gab es keine Wahl. Sie waren im Kriege schon gebrandmarkt als Kriegsfeinde, Pazifisten, Landesverräter. Wo war unser Platz zu Beginn der Revolution? Während wir Heinrich Mann - als einzigen Demokraten in Deutschland - zurücklassen mußten, marschierten wir als Kameraden, als Soldaten der Revolution zusammen. Jeder auf seinem Posten. Ein nie ausgesprochenes Gelöbnis verband uns mit dir, Ludwig Rubiner.

III.

Du wolltest die Welt ändern. Wodurch? Durch den Geist. Nicht durch Unterstützungsgelder. Du wolltest die Erneuerung. So hieß das erste Manuskript, das ich unmittelbar nach Ausbruch der Revolution für das erst nach dem dreijährigen Verbot wieder erscheinende Forum von Dir erhielt. Die "Erneuerung". Und es begann: "Jetzt bist du soweit. Es dauert nicht mehr lang. Jetzt beginnt deine wahre Arbeit, du Freund, Kamerad, Genosse - oder Feind. Jetzt hast du dich zu bewähren, jetzt beginnt dein wirklicher Kampf und du kannst nicht vorher sagen, wie du aus ihm gehen wirst". Hier stehen Forderungen, Bekenntnisse, Ahnungen eines befreiten und befreienden Geistes. Hier kämpft einer gegen den Dualismus der Passiven, Klugen, Abgeklärten. Es kann nicht mehr sein, daß einer nur so tut als ob, daß einer zwischen den Meinungen und den Taten schlendert, daß einer Freund sagt und Feind tut. "Dieser Dualismus, der dir erlaubte, dich allen Taten zu entziehen, und die Taten anderer schlau und gerissen zu begutachten, dieser ganze hochmütige Schwindel ist aus ... Heute mußt du dein Leben mit der großen Sache, die du dachtest und aussprachst, identifizieren. Mit unserer Sache. Du mußt mit uns gehen. Mit wem? Mit der Masse?"

Und der kühne Literat, der Voltaire und Walt Whitman liebt, wurde zum leidenschaftlichen sozialen Revolutionär. Politik? Partei? Er liebt das arbeitende, schaffende Volk. Die Masse. Ihre Erneuerung will er. Die Erneuerung der ganzen Welt ist das Ziel.

"Die Erneuerung kommt aus dem Volk, wo es wirkendes Volk ist. Wirkendes Volk ist die Masse. Die Masse baut auf ... Und die Massenaktionen des Volkes unterscheiden sich von allen befehlsmäßig kommandierten politischen und kriegerischen Zügen ganz scharf dadurch, daß bei ihnen die höchste gerechteste, geistigste, menschheitliche Ideen-Forderung mit der allerdringensten, allerkompliziertesten, allerlebenbrennendsten Interessen-Forderung zusammenfällt. ... In unserer Zeit haben die ersten Verwirklicher des Kommunismus einer materialistischen Philosophie angehört, die nichts anderes, als das längst Abgetane veralteter Naturwissenschaft sagte, der Mensch sei ohne freien Willen und das Produkt der Verhältnisse, und eben sie haben mit dem mächtigsten Griff des freien Willens in der unbeschreiblich kurzen Spanne eines Jahres die neuen Verhältnisse der kommenden Welt geschaffen und vorgeformt."

So sah Rubiner, der Sozialist und Revolutionär, den Weg. Untertauchen in die Masse. Masse sein. "Masse sein, heißt nicht: hinter dem Rücken des Vorderen verschwinden. Es heißt: Verantwortlich mit der brennendsten Spannung deines Willens in den Willen deiner zahllosen Kameraden stürzen." Und Rubiner verkündet das neue Evangelium der Arbeit und der Liebe. Er weiß, daß vor der Erneuerung eine große Bekehrung wird kommen müssen. Ein Sich-Umwandeln, ein Sich-Befreien, ein Ausscheiden aller Gifte. Dann ein Aufatmen. Und so endet er seinen programmatischen Essay von der Erneuerung mit dieser Prophezeiung:

"Ein Augenblick kommt, da bist du nicht mehr Klasse, nicht mehr Bürger. Wer führt die Massenaktionen aus? Die Arbeitenden. Das Proletariat. Sie handeln. Die andern schauen zu. Es gibt aber keine Zuschauer mehr. Du sympathisierst mit den Handelnden, den Arbeitern, dem Proletariat? Man braucht keine bloßen Sympathiekundgeber mehr. Du hast heute zu handeln. Mein Freund, dein Weg geht zum Proletariat. Proletariat! Darum kommt kein Gehirn von morgen mehr herum. ... Der Weg geht durch die Solidarität. Du kannst nur noch Masse sein. Hier ist die Erneuerung."

IV.

Er schuf am Wege der Erneuerung. "Das himmlische Licht" erstrahlte, Hymnen der Menschheit erklangen, sein Drama "Die Gewaltlosen" riß die Kerker der Beladenen, Verurteilten, der Ärmsten auf; er sammelte "Kameraden der Menschheit, Dichtungen zur Weltrevolution", und sein letztes Werk war vielleicht sein wesentlichstes: eine Sammlung von Dokumenten der geistigen Weltwende, in der wir leben, er nannte sie "Die Gemeinschaft" und stellte ihr die Kennzeichnung voran, die ihn und uns traf: "Hier sind Zeugnisse von Menschen gesammelt, die in der Änderung der Welt ihr Lebensziel sahen". Rubiner schuf hier ein bleibendes Denkmal der Weltrevolution. Er sammelte die besten Europäer, die kühnsten Weltpioniere um sich, die - bei aller Verschiedenheit ihres Könnens, ihres Lebens, ihres Temperaments - durch einen Willen verbunden sind: durch den Willen zur Weltumwälzung, zur Welterneuerung. Er hat klugerweise die Ahnen, die Vorfahren unserer Ideen, nicht vergessen. Diese "Gemeinschaft" gibt eine andeutende Skizze der Stammtafel der Weltrevolutionäre. Von Hölderlin, Voltaire, Jean Jacques Rousseau über Marat, Wilhelm Weitling, Karl Marx, Peter Kropotkin bis zu Lunatscharski, Henriette Roland-Holst, Guilbeaux, Gustav Landauer, Leonhard Frank. Vereint stehen hier die Aufrichtigsten, Kühnsten, Menschlichsten die, deren Weg unbeirrbar war, ist und sein wird, in einer Phalanx. Die Künder eines neuen Menschheitsglaubens, die Rigoristen der Idee, die Vorläufer der Weltkommune.

Und Ludwig Rubiner gehörte zu ihnen. Ich kannte ihn seit 16 Jahren. Wir waren auf der Berliner Universität zu Beginn des Studiums zusammengetroffen. Wir gingen eine lange Wegstrecke zusammen. Wir hörten Paulsen Schmoller, Simmel, Erich Schmidt, Wölfflin und hielten selbst Vorträge in der freien Studentenschaft (Finkenschaft) über Tolstoi, Strindberg, Wedekind. Allzu einseitig ästhetisch und psychologisch orientiert, stürzten wir uns jedoch von vornherein in den Kampf gegen die selbstverständliche Diktatur der bürgerlichen Gesellschaft, gegen ihre Urteile, Wertungen, gegen ihre Methoden, Gewohnheiten, ihre Tugenden und Laster. Die Umwertung aller Werte, von Nietzsche allzu glückverheißend verkündet, fand die gläubigsten Jünger in einer Schar hochstehender, sehr intensiv arbeitender Menschen, die sich immer mehr dem Literarischen abwandten, um den Wurzeln des sozialen Lebens näherzukommen, durch eindringliche Studien der historischen, ökonomischen, politischen und soziologischen Verhältnisse. So gelangten sie schließlich, so rangen sie sich durch zum revolutionären Sozialismus, zu Karl Marx.

Der Krieg beschleunigte diese Entwicklung. Waren wir vorher und selbst zu Beginn des Krieges leidenschaftliche Antimilitaristen, pazifistisch, weltbürgerlich, international, revolutionär im Sinne von 1789, waren Rousseau, Voltaire, Marat unsere Vorbilder gewesen, so erkannten wir bald zweierlei: erstens, daß die Mehrzahl der Führer der sich auf Marx berufenden sozialdemokratischen Partei jämmerliche Kleinbürger waren, deshalb bei Ausbruch einer Katastrophe als Retter, als Wegweiser, als Löser versagen und immer mehr versumpfen und korrumpieren mußten: in der bürgerlichen Welt, mit der sie aus nationalen Gründen Burgfrieden schlossen, die sich nicht mehr vernichten wollten, sondern an deren Wiederaufrichtung sie, revolutionäre Sozialisten, infolge patriotischer Impulse mitwirken zu müssen glaubten. Wirt erkannten ferner, daß die großen leidenschaftlichen Vorkämpfer der französischen Revolution, (als Menschen, als Charaktere, als Persönlichkeiten turmhoch über die Partei- und Gewerkschaftsbeamten des wilhelminischen Zeitalters stehend), mit Ausnahme von Babeuf und weniger anderer ganz in bürgerlicher Ideologie wurzeln und stecken geblieben waren.

V.

Im Menschen wie Ludwig Rubiner glühte der Funke, die große Universalität Voltaires, Diderots zu vereinen mit dem revolutionären Charakter des wissenschaftlichen Sozialismus eines Karl Marx und seiner besten Jünger. Die russische Revolution von 1917 stellte uns alle vor die Entscheidung. Vielfach befremdet, abgestoßen durch die Flut von Lügen, Verleumdungen über die Bewegung der bolschewistischen Revolution, blieben selbst die Vorgeschrittensten und Kühnsten einige Zeit skeptisch, bis dann mit unserer Verehrung für den heroischen Kampf dieser jug'quanboutistischen Sozialisten auch die Wahrheit über ihre Tätigkeit, über die ungeheuere Arbeit durchdrang.

Daran mitgeholfen zu haben, wird nicht das geringste Verdienst Rubiners bleiben. Ich weiß, er schickte mir noch aus der Schweiz für die "Republik" und das "Forum" deutsche Übersetzungen aus dem russischen revolutionären Zeitungen: Rubiner war es, der mir zuerst die Aufsätze des Hauptmanns Sadoul sandte, die ich dann in der "Republik" veröffentlichte; er hat schließlich unremüdlich für die Aufklärung über die russischen Zustände unter der Herrschaft der Bolschewiki gewirkt. Er und sein tapferer Kamerad, Frieda Ischak-Rubiner, haben sich als tätige Revolutionäre erwiesen. Sie haben sich um die Verleumdungen der bürgerlichen wie der intellektuellen Revolutionsgesellschaft nicht gekümmert, sie haben sich mit ganz wenigen abseits gehalten, nur völlig hingegeben den Massen, der revolutionären Klasse der Arbeiter, denen ihre Arbeit, ihre Liebe, ihre Zeit, ihre Kraft, ihren Willen, ihr Leben gewidmet war.

VI.

Rubiner als Dichter, als Kritiker, als Revolutionär - ein aufgewühlter Mensch, ein Begeisterter und ein Begeisternder, ein zartes, edles Herz und ein wilder, unerbittlicher Revolutionär.

Also: ein Ideologe? Ein Utopist? Nicht wahr? Weltfremd, Phantast? Abgetan Bürger, nicht wahr? Früher äußertest du, Bürger: ein etwas verrückter Weltverbesserer, ein politisch ahnungsloser Literat. Du äußerst es auch jetzt noch, je nach deinem Vorgeschrittensein oder deiner Rückständigkeit.

Plötzlich aber bekamt ihrs alle mit der Angst. Rußland schreckte euch. Lenin und seine Schar entsetze immermehr eure sumpfingen Seelen. Dieser Krieg war nicht euer Krieg. Hier schieden sich von neuem die Geister. Die Kühnsten, Mutigsten, Ernstesten, die vorangingen, ihr habt sie verleumdet, erschlagen oder gemeuchelt.

Ludwig Rubiner war ihr zärtlich nachfühlender Jünger. Vorläufer einer neuen Zeit. Vorkämpfer einer neuen Gemeinschaft. Zugleich Weltfreund und Weltrevolutionär.